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Ikke Hüftgold sorgt mit »Layla« für Schlagzeilen: »Die Demokratie wackelt«

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»Ich bin eher der härteren Mallorca-Fraktion zuzuschreiben«, sagt Matthias Distel, besser bekannt als Ikke Hüftgold. »Das muss ein Veranstalter erst einmal gut finden.« © DPA Deutsche Presseagentur

Auf dem Wiesnfest in Pohlheim gibt sich Schlagerstar Ikke Hüftgold die Ehre. Im Interview spricht er über die Gesellschaft, Engagement – und »Layla«.

Pohlheim – Am Samstag (29. April) steht mit Matthias Distel alias Ikke Hüftgold eine Figur auf der Bühne des Wiesnfests in Pohlheim, die polarisiert, provoziert - und sich selbst als »peinlichsten Partyschlagersänger« bezeichnet. Er sei »der, der sich alles erlauben darf«, sagt er. Und er nennt eine Grenze des guten Geschmacks, die er nie überschreiten will.

Herr Distel, fremdeln Sie eigentlich manchmal mit Ihrer Kunstfigur Ikke Hüftgold?

Täglich. Es ist eine Hassliebe geworden. Ikke Hüftgold kostet mich viel Kraft. Dieses Jahr habe ich 130 bis 140 Auftritte. Und ich stemme ja noch einen ganzen Apparat dahinter.

Haben Sie schon mal ans Aufhören gedacht.

Ich will jedes Jahr aufhören.

Aber?

2008 habe ich meine ersten Zeilen als Ikke Hüftgold geschrieben. Seitdem wächst der Erfolg jedes Jahr extrem. Immer wieder sage ich, dass ich am Höhepunkt der Karriere angelangt bin, dass ich aufhören muss. Aber dann erreicht der Erfolg weitere Höhen. Und wenn ich auf die Bühne gehe, ist meine Welt, die Arbeit, der ganze Stress vergessen. Dieser Adrenalinschub, die Glücksgefühle, wenn du Leute begeisterst: Das ist wie eine Sucht.

Ihr Markenzeichen ist der ausgestreckte Mittelfinger, mit dem Sie auch an diesem Samstag in Pohlheim auf die Bühne treten werden. Entstanden ist diese Geste, als Sie bei ihren ersten Konzerten im Ballermann beschimpft und mit Bierbechern beworfen wurden. Es war Ihre Art, darauf zu reagieren. Lieben Sie Gegenwind?

Ikke ist durch Gegenwind groß geworden. Ich war überall unerwünscht. Auch wollte keine Plattenfirma meine Musik. Meine Reaktion war: Okay, dann machen wir es halt selbst. Ich habe ein eigenes Plattenlabel gegründet. Damit sind wir mittlerweile Marktführer im deutschen Partyschlager.

Ikke Hüftgold ist froh über die »Layla«-Debatte

Heftigen Gegenwind haben Sie im Sommer vergangenen Jahres gespürt, als der von Ihnen produzierte Song »Layla« auf einigen Festen zensiert wurde. Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Zeit?

Erstmal hat mich diese Zeit und die Debatte vor allem verwundert. »Layla« ist ja einer der harmloseren Mallorca-Songs. Ich ziehe die Lehre, dass die Demokratie ein Stück wackelt. Und dass wir uns auf keinen Fall den Mund verbieten lassen dürfen.

Ist die Einschätzung, dass die Demokratie wackelt, angesichts von einigen wenigen Verboten auf Festen nicht etwas übertrieben?

Na ja, es ist zugespitzt. Aber Diktatur beginnt immer mit Verboten. Mit Druck von ganz wenigen auf viele. Wir haben nunmal Kunstfreiheit, und die wollen wir behalten. Die Kunstfreiheit hört natürlich dann auf, wenn Texte erniedrigend werden, wenn sie Gewalt verherrlichen, wenn sie zum Waffengebrauch aufrufen. Aber das ist bei »Layla« nicht der Fall. Ich war eigentlich froh über die Debatte. Aber sie wurde falsch geführt.

Wie hätte man sie denn führen müssen?

Viel sachlicher. Viel unaufgeregter. Andererseits hat die Aufgeregtheit gleichzeitig dazu geführt, dass die Streaming-Zahlen unserer Songs stark angestiegen sind. Auf Spotify sind meine Lieder im vergangenen Jahr 55 Millionen Mal gehört worden, diese Zahlen verdoppeln sich jetzt. Wenn meine Lieder durch die Decke gehen, ist das auch eine Folge von »Layla« und der Debatte darüber. Wobei wir mit Partyschlagern schon längst keine Nische mehr bedienen, sondern im Mainstream sind.

Gelernter Baumkletterer

Der 46 Jahre alte Matthias Distel aus Limburg, bekannt unter dem Namen seiner Kunstfigur Ikke Hüftgold, ist Partyschlagersänger und Musikproduzent. Bekannte Songs sind beispielsweise »Ich schwanke noch« und »Dicke Titten, Kartoffelsalat«. Er ist gelernter Baumkletterer, hat in seiner Heimatstadt einen Gartenbaubetrieb aufgebaut. 2008 schrieb er spaßeshalber einen Ballermann-Hit – und hatte Erfolg, den er immer weiter ausbaute.

„Ikke Hüftgold“ im Interview: Die Gesellschaft hat einen „Dachschaden“ entwickelt

Ein Vorwurf am Lied »Layla« ist, dass der Text sexistisch sei. Was entgegnen Sie darauf?

Ich habe nie gesagt, dass er nicht sexistisch ist. Wenn ich nur den Text von »Layla« und die Zeile »Jünger, schöner geiler« sehe und das als Sprachwissenschaftler oder privat als Matthias Distel betrachte, dann sage ich: Ja, da findet eine Reduzierung einer Frau auf sexistische Attribute statt. Es kommt aber auch auf die Sichtweise an. Wir spielen in unserem Partyschlager-Umfeld, in unserer Mallorca-Bubble ja mit den klassischen Männer- und Frauenklischees und drücken über Körperkontakt und das gemeinsame Feiern Verbundenheit aus, das gehört zur Partykultur.

Wie sind Sie mit der Überhöhung der Debatte zurechtgekommen? »Layla« hat für ein paar Tage die Schlagzeilen bestimmt.

Daran sieht man, dass unsere Medienlandschaft und unsere Gesellschaft einen kleinen Dachschaden entwickelt haben. Irgendetwas läuft doch verkehrt, wenn der Song »Layla« wochenlang die Medien beherrscht, und das in Kriegszeiten. Sicher lechzen die Menschen in solchen Zeiten auch nach leichten Themen, aber ein Lied wie »Layla« sollte nicht die Schlagzeilen prägen.

Überspitzt haben Sie sich selbst mal als »peinlichsten Partyschlagersänger« bezeichnet. Ist Peinlichkeit Ihre Motivation?

Ich gehe mit unwahrscheinlich viel Selbstironie, mit viel Humor an meine Kunstfigur heran. Klar habe ich peinliche Dinge gemacht. Ich habe schon in Windeln auf der Bühne gestanden, weil ich die Nachgeburt von Mickie Krause gespielt habe. Ich bin die Ausgeburt des deutschen Schlagers. Ikke Hüftgold ist der Teufel des Schlagers. Der, der sich alles erlauben darf.

Gibt es bei Ihnen eine Grenze des guten Geschmacks?

Auf jeden Fall. Ich würde zum Beispiel niemals Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Ausrichtung diskreditieren. Es soll sich jeder so definieren, wie er sich fühlt.

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Matthias Distel alias Ikke Hüftgold lebt in Limburg. © DPA Deutsche Presseagentur

Ikke Hüftgold prangert Missstände im Fernsehen an

Einmal haben Sie eine sehr deutliche Grenze des guten Geschmacks gezogen, als Sie als Kandidat der Sat1-Sendung »Plötzlich arm, plötzlich reich« ausgestiegen sind, weil dort Kinder vorgeführt wurden. Sie haben Anzeige gegen die Produktionsfirma erstattet. Haben Sie eigentlich danach gespürt, dass die Wahrnehmung Ihrer Figur sich geändert hat?

Ja, allerdings schon vor drei Jahren, als ich ins Promi-Big-Brother-Haus gezogen bin. Davor hat jeder da draußen gedacht, ich wäre ein Vollassi, der nur säuft und raucht. Ich habe den Matthias gezeigt. Den Mann, der hinter Ikke Hüftgold steht. Einen Familienvater und Arbeitgeber, der über den Tellerrand hinausschaut und sozial engagiert ist.

Sat1 hat das komplette Format nach Ihrem Protest abgesetzt. Haben Sie durch die anschließende rechtliche Auseinandersetzung Schaden genommen?

Die Sendergruppe hat bis heute jegliche Zusammenarbeit mit mir niedergelegt. Ich habe hochdotierte Formate verloren. Aber mein persönlicher Schaden wäre viel höher, wenn ich die Zustände dieser Sendung noch mit mir herum tragen müsste, ohne etwas dagegen unternommen zu haben. Ich könnte nicht in den Spiegel schauen. Die Kinder haben sich unfassbar gut entwickelt, ich begleite die Familie bis heute. Sie lebt in Mannheim. Wir haben mit unserer Firma die Wohnung saniert, die Kinder in Vereinen angemeldet. Für den Großen, der gerade ausgezogen ist, haben wir ein Bett für die eigene Wohnung gekauft. Noch heute gibt es mehrere TV-Formate, in denen Menschen in Armut oder mit Behinderung vorgeführt werden, häufig Kinder. Ich wollte mit allen Fernsehsendern einen gemeinsamen Aufruf veröffentlichen, dass so etwas nicht mehr passieren darf. Aber daran gab es kein Interesse. Es geht immer nur um’s Geld.

Was hat Sie eigentlich im März vergangenen Jahres motiviert, spontan Hunderte ukrainische Flüchtlinge aus Polen mit dem Bus nach Deutschland abzuholen?

Das war nach dem russischen Angriff auf ein ukrainisches Atomkraftwerk. Da habe ich beschlossen, dass wir helfen müssen. Wir haben 1287 Menschen von der Grenze geholt und privat in Wohnungen untergebracht. 600 von ihnen sind inzwischen wieder zurück in der Ukraine, 200 sind weiter gezogen. Aber wir betreuen weiterhin 400 bis 500 Menschen bis heute. Gerade haben wir Operationsbestecke für ein Krankenhaus in Kiew gekauft, das schicken wir in zwei Wochen rüber. Klar habe ich durch meine Reichweite und meinen Erfolg mehr Möglichkeiten zu helfen. Aber es reicht schon aus, wenn jeder nur auf seine zehn Leute im Umfeld achtet.

Kennen Sie Pohlheim und das Wiesnfest?

Ja, als Limburger natürlich. Ich habe das Wiesnfest in den vergangenen 15 Jahren immer verfolgt. Mit dem Auftritt am Samstag wird für mich ein kleiner Traum wahr.

Warum hat es denn 15 Jahre gedauert, bis sie auf dem Wiesnfest auftreten.

Ikke Hüftgold hat eine sehr spezielle Entwicklung hinter sich. Ich war und bin eher der härteren Mallorca-Fraktion zuzuschreiben. Ich mache gnadenlose Satire mit meinen Songs. Das muss ein Veranstalter erst einmal gut finden. Da schwingt immer die Angst mit, ob das dem Publikum auch gefällt, wenn alle Altersklassen bedient werden sollen. Aber meine Songs sind in den vergangenen Jahren eingeschlagen. Ich bin jetzt auf Augenhöhe mit Künstlern wie Mickie Krause. Außerdem habe ich viele Musiker produziert und an die Spitze gebracht wie Mia Julia, Lorenz Büffel, DJ Robin und Schürze. Ich habe mittlerweile eine sehr hohe Akzeptanz.

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