"Ich glüh härter vor, als du Party machst."

"Als ich noch jung war, war Pluto noch ein Planet."

"Ich leb in meiner eigenen Welt. Das ist OK, man kennt mich dort."

Wenn diese Sätze bei Ihnen nostalgische Gefühle auslösen, dann sind Sie vermutlich mindestens 30, haben sehr wahrscheinlich studiert – und hatten mal ein StudiVZ-Profil. Die Mitgliedschaft in Gruppen mit Titeln wie den oben zitierten waren dort ein wichtiges Mittel zur Selbstdarstellung.

Wenn Sie noch mal überprüfen wollen, mit welchen Gruppen Sie damals Ihre Persönlichkeit beschrieben haben, sollten Sie das jetzt tun. Am Donnerstag sollen die Plattform und ihre Schwester MeinVZ abgeschaltet, alle Nutzerdaten gelöscht werden. Die Netzwerke seien "technisch so veraltet, dass ein Weiterbetrieb keinen Sinn macht", schrieb die Betreiberfirma ihren letzten Nutzerinnen und Nutzern kürzlich

In Deutschland, das darf man schon so pathetisch schreiben, endet damit jetzt so richtig die Ära einer Plattform, die schon lange keine Rolle mehr spielt, aber vor allem für viele Millennials einst der erste Verknüpfungspunkt zwischen digitaler und analoger Welt war: Wer an einer Uni eingeschrieben war (und später auch alle anderen), konnte sich ein Profil anlegen mit Name und mit Bild, konnte Interessen angeben, Lieblingszitate, den Beziehungsstatus, konnte andere "gruscheln" und, natürlich, durch eine geschickte Auswahl der Gruppen den eigenen Charakter gekonnt hervorheben. Man konnte sich durch die Fotos der Freunde wühlen und darüber herausfinden, auf welche Partys man offenbar nicht miteingeladen war, konnte sich durch die Gruppen anderer scrollen, schauen, was der frühere Klassenclown nun so trieb, oder am nächsten Morgen die Clubbekanntschaft suchen. Im analogen Leben fragte man nicht mehr unbedingt nach der Telefonnummer, sondern: Hast du StudiVZ? 

Datingportal

Auf StudiVZ lernte ich meine zweite Freundin kennen. Der Grund: meine Gruppenauswahl. Ich war Mitglied in Fangruppen von Bob Dylan und dem Film "Wag the Dog". Eines Tages schrieb mir ein Mädchen namens Corinna, das ich nicht kannte, auf die Pinnwand: "Einen coolen Musik- und Filmgeschmack hast." Man schrieb miteinander. Man traf sich. Und plötzlich war man ein Pärchen. Als nach knapp einem Jahr die Beziehung in die Brüche ging, schrieb mir Corinnas beste Freundin eine bitterböse Nachricht auf die Pinnwand. Ich löschte sie schnell.
Philipp Blanke, Nachrichtenredakteur bei ZEIT ONLINE

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, dass das mal etwas Besonderes war: ein Profil im Netz, über das man mit anderen über die öffentliche Pinnwand oder über private Nachrichten kommunizieren konnte. Aber StudiVZ stammt eben noch aus einer Zeit, in der nicht alles so volldigitalisiert war wie heute. Bei der Gründung 2005 war Facebook noch nicht weltweit aktiv, selbst Myspace hatte noch keinen deutschen Ableger, Twitter und TikTok existierten nicht einmal. Smartphones waren ein Randphänomen, das erste iPhone noch nicht erschienen, Apps kaum verfügbar und kaum verbreitet. Wenn man unterwegs war, schrieb man noch SMS, und die sonstige Kommunikation lief per E-Mail oder, wenn man jung war (oder sich dafür hielt), per ICQ – auf dem Desktop. Semiöffentlich Bilder posten oder gar seine Meinung kundtun, das machten höchstens echte Nerds in irgendwelchen Foren oder in ihren persönlichen Blogs.

StudiVZ als erste große Plattform in Deutschland, über die sich Millionen Menschen vernetzten – auf dem Höhepunkt sollen es 16 Millionen gewesen sein –, änderte das maßgeblich. Es normalisierte für eine große Gruppe an Menschen, Fotos von sich selbst zu teilen, von Partys, Freunden, aus dem Leben. Es normalisierte, private Dinge von sich preiszugeben, auf dem Profil, in Gruppen, auf den Pinnwänden anderer, später auch im Buschfunk (einem kläglich gescheiterten Newsfeed-Abklatsch). Es normalisierte, mit Menschen, die man gar nicht kannte, digital in Kontakt zu treten. Es war ein soziales Netzwerk, das wirklich hauptsächlich ein Netzwerk war und nicht noch zusätzlich Nachrichtenportal, Meinungsvehikel oder Unterhaltungsplattform, wie wir es von heutigen Portalen kennen. Social Media 1.0 sozusagen. 

Die Sache mit dem Klatschen

StudiVZ? Da war ich seit bestimmt 15 Jahren nicht mehr eingeloggt. Trotzdem begleiten mich seine Gruppennamen noch heute im analogen Leben. Bevorzugt in schwierigen Lebenslagen schießen sie mir in den Kopf. Etwa wenn ich an den Steuerunterlagen sitze: "Ich hatte in der Schule nur Singen und Klatschen". Oh je, die Sache mit dem Klatschen: Es war vor einigen Jahren, herrlicher Frühsommertag, ein kleines Indie-Festival. Ich kam der Aufforderung des Sängers irgendeiner unbekannten Band nach, mitzuklatschen. Meiner Freundin war das sehr offensichtlich peinlich. Ich schaute sie fragend an. Ob ich DIE StudiVZ-Gruppe nicht kannte, wollte sie wissen. Welche? Die, laut der nur CDU-Wähler mit den Händen über dem Kopf klatschen? Ich kannte sie nicht. Seit diesem Tag bin ich die, die auf Konzerten nie mitklatscht.
Anne Jeschke, ZEIT-ONLINE-Autorin

Mit dem Aus von StudiVZ verschwinden zwar die Studienerinnerungen (und die Jugendsünden) einer ganzen Generation. Technisch gesehen aber sollte man StudiVZ auch nicht überbewerten. Damals sah es Facebook ziemlich ähnlich, das in seinen Anfängen ja auch nur rudimentäre Funktionen bot. Und auch damals konnte man schon die gesellschaftlichen Probleme beobachten, mit denen soziale Netzwerke heute noch kämpfen: Stalking und Belästigung, Mobbing, schlechte Privatsphäre (übrigens auch eine Gruppe: "StudiVZ ist wie Ikea – wir bauen uns Orwells 1984 selbst").

Trotzdem galt es als Internethoffnung. Die Holtzbrinck-Gruppe soll 2007 85 Millionen Euro für das Portal hingelegt haben, damals eine riesige Summe. Die Verlagsgruppe soll sogar eine Offerte von Facebook, StudiVZ für fünf Prozent der Anteile an Facebook zu verkaufen, ausgeschlagen haben. Aus heutiger Sicht kann man das leicht als Fehlinvestment bewerten, zumal StudiVZ da schon am Zenit, womöglich sogar darüber hinaus war. Aber im Nachhinein ist vieles leicht zu bewerten. Facebook jedenfalls startete 2008 dann selbst in Deutschland und zog in Nutzerzahlen schnell vorbei. Und während sich das Vorbild aus den USA stetig weiterentwickelte, den Newsfeed einführte und den Like-Button, blieb StudiVZ im Grunde einfach StudiVZ: Außer Gruppen beitreten und Gruscheln ging nicht viel. Bis dann auch nicht mehr so viele Nutzerinnen und Nutzer kamen.

Der Buschfunker

Als ich mich Ende der Nullerjahre für erwachsen und meine Meinungen für maßgeblich hielt, kam der "Buschfunk" gerade recht. So hieß eine neue Funktion der VZ-Netzwerke, die damals gar nicht so sehr im Zentrum des VZ stand, aber ziemlich genau dem entsprach, womit ein anderes soziales Netzwerk zu der Zeit gerade groß wurde: Twitter. Ich weiß nicht mehr, ob ich zuerst im Buschfunk oder zuerst bei Twitter angefangen habe, zu posten, was ich so machte, was mich so beschäftigte, was ich so meinte. Fest steht: Irgendwann konnte man die beiden Netzwerke miteinander verknüpfen. Und während ich bei Twitter eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit herummeinte, waren im VZ alle meine Freunde. Unter denen führte das eher zu Irritation: Was das denn solle, die ganze Zeit so Statements in die Welt zu posaunen? Gar nicht so viel später gehörten einige der lautesten Kritiker meiner Buschfunkerei zu den akribischsten Protokollanten ihres Privatlebens bei Facebook. Da schien das plötzlich niemanden mehr zu stören.
Jakob von Lindern, Digitalredakteur bei ZEIT ONLINE

Es gab in den vergangenen Jahren Wiederbelebungsversuche, etwa 2020, als alle Nutzerinnen und Nutzer zu VZ.net wechseln sollten. Es wurde 2021 wieder eingestellt. Zuletzt war das Netzwerk vor allem noch eine Spieleplattform – die Spielstände sollen auch erhalten bleiben, versichert die Betreibergruppe Poolworks

StudiVZ wird gewiss auf irgendeine Art und Weise weiterleben. Allein schon, weil das Netz selten vergisst, werden sicher noch mal Bilder oder andere Informationen irgendwo auftauchen. Und sonst bleibt den ehemaligen Nutzerinnen und Nutzer zumindest die Erinnerung an gruschelige Zeiten und absurde Gruppen.

Wer heute, am letzten Tag, noch mal einen Blick wagen will, der muss sich in Geduld üben. Bei manchen geht der Login gar nicht mehr, bei manchen dauert er lange. Gut, dass es für jede Lebenslage eine StudiVZ-Gruppe gibt, bis heute: "Wenn ich alt bin, werde ich nur nörgeln. Das wird ein Spaß."

Transparenzhinweis: Die ZEIT Verlagsgruppe gehört zu 50 Prozent der Holtzbrinck Publishing Group und der Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH.

Sie erinnern sich auch noch an ihre Lieblingsgruppe? An den Tag, als Sie das erste Mal von ihrem heutigen Partner gegruschelt wurden? Als Sie im Bewerbungsgespräch auf ihre interessanten Partyfotos angesprochen wurden? Schreiben Sie uns Ihre StudiVZ-Erinnerungen in die Kommentare. Oder: Schicken Sie uns Ihre Anekdote als Sprachnachricht an wasjetzt@zeit.de. Teile der Einsendungen werden in unserem Podcast Was jetzt? veröffentlicht.