Sylvie Meis & Silvana Koch-Mehrin über Krebs: „Im Kopf wird man nie wieder richtig gesund“

Silvana Koch-Mehrin und Sylvie Meis sprechen in BamS über ihre Krebserkrankung und die Auswirkungen auf ihre Familie

Silvana Koch-Mehrin (l.) und Sylvie Meis beim BamS-Fotoshooting im Hotel „Vier Jahreszeiten“ in Hamburg. Beide hatten die Diagnose Brustkrebs bekommen

Silvana Koch-Mehrin (l.) und Sylvie Meis beim BamS-Fotoshooting im Hotel „Vier Jahreszeiten“ in Hamburg. Beide hatten die Diagnose Brustkrebs bekommen

Foto: Paul Schirnhofer
Von: TANJA MAY

Zwei Frauen, die beruflich aus komplett verschiedenen Welten kommen und die sich bis zum Interview mit BILD am SONNTAG nicht persönlich kannten – und doch verbindet sie dasselbe Schicksal: Diagnose Brustkrebs.

Silvana Koch-Mehrin (50), Präsidentin des weltweiten Frauennetzwerkes Women Political Leaders (WPL) und frühere FDP-Spitzenpolitikerin kämpft seit zwei Jahren gegen die heimtückische Krankheit. Sylvie Meis (43), TV-Moderatorin, Unternehmerin, Influencerin erkrankte vor zwölf Jahren. Beide haben Kinder, Silvana drei Töchter (13, 16 und 18), Sylvie einen 15-jährigen Sohn.

Sylvie hat ihren Sohn Damian aus ihrer früheren Ehe mit Rafael van der Vaart

Sylvie hat ihren Sohn Damian aus ihrer früheren Ehe mit Rafael van der Vaart

Foto: SYBILL SCHNEIDER

Derzeit gelten sowohl Sylvie als auch Silvana als geheilt, sofern man das bei Krebs sagen kann. „Vor jedem Arztbesuch ist es psychisch für mich ganz schwierig. Die Panik, selbst wenn alles gut ist, ist da. Ich gehe immer wieder durch die Hölle“, sagt Silvana Koch-Mehrin.

Sylvie Meis nickt: „Ich verstehe dich so gut. Normalerweise müsste ich nur noch einmal im Jahr zur Untersuchung. Ich gehe aber bewusst alle sechs Monate zum Arzt. Sobald ich das Ergebnis habe, schreibe ich meinem Team: Ich bin gesund! Mit dickem Ausrufezeichen.“

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Im BILD am SONNTAG-Gespräch sagen beide übereinstimmend: „Ich denke jeden Tag an die Krankheit.“ Und sind sich einig: „Im Kopf wird man nie wieder richtig gesund. Silvana Koch-Mehrin: „Diese Gedanken der Angst äußern sich in ganz kleinen Momenten. Hat mein Zug zehn Minuten Verspätung, denke ich: Okay, zehn Minuten sind die Hälfte einer Dosis Chemotherapie.“

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BILD am SONNTAG: Die Behandlung scheint Sie nachhaltig zu prägen.

SYLVIE MEIS: „Mir ging es nach jeder Chemo extrem schlecht. Ich musste mich stundenlang übergeben, dachte, ich sterbe jetzt. Ich lag im Badezimmer auf dem Boden, konnte nicht aufstehen.“

SILVANA KOCH-MEHRIN: „Ich musste mich kein einziges Mal übergeben. Aber ich hatte vor jeder Behandlung wahnsinnige Angst vor diesem hochgiftigen Medikament. Die Fingerspitzen wurden taub, die Nägel an Fingern und Füßen wurden schwarz. Ich hatte keine Kraft, Musik zu hören oder zu lesen. Was mir half: mit anderen Frauen über den Krebs zu reden. Und: meine Arbeit! Die wenige Energie, die ich hatte, nutzte ich für die Familie und meinen Job.“

SYLVIE: „Ich auch! Ich habe nie aufgehört zu arbeiten. Damals war ich in der Jury der RTL-Sendung „Das Supertalent“, doch im TV ließ ich mir nicht anmerken, wie schlecht es mir ging. Heute weiß ich, dass der Krebs mich erst zu der mutigen Frau werden ließ, die ich heute bin. Auch habe ich viel gebetet und war regelmäßig in der Kirche. Vor meiner ersten Chemo bin ich fast durchgedreht vor Angst.“

SILVANA: „Ich bin nicht getauft. Die katholische Familie meines Mannes ließ in Irland mehrere Messen für mich lesen. Das fand ich unglaublich anrührend. Auch die Zuwendung vieler Freunde, die Kerzen anzündeten, half. Es gab wunderschöne Erlebnisse mit anderen Menschen. Sie haben mir gutgetan.“

Im April 2010 zeigte sich Sylvie Meis bei „Let’s Dance“ nach ihrer Chemo erstmals mit kurzen Haaren

Im April 2010 zeigte sich Sylvie Meis bei „Let’s Dance“ nach ihrer Chemo erstmals mit kurzen Haaren

Foto: picture alliance / dpa

Ihnen beiden fielen die Haare aus. War das der schlimmste Moment?

SYLVIE: „Es war schlimm, weil ich es nicht selbst bestimmen konnte. Krass war auch, keine Augenbrauen, keine Wimpern mehr zu haben. Anfangs hatte ich nicht den Mut, in den Spiegel zu schauen und mich kahl zu sehen. Als mir der Friseur den Rest meiner Haare abrasierte, waren alle Spiegel abgehängt. Erst Wochen später, im Salon einer guten Freundin, fand ich den Mut, hinzuschauen. Die Freundin saß neben mir, als ich die Perücke anprobierte. Mit meinem Ex-Mann und unserem damals dreijährigen Sohn lebte ich zu der Zeit in Madrid, die Hitze unter der Perücke war unerträglich. Irgendwann lief ich zu Hause ohne herum, das war ein Gefühl der Befreiung.“

SILVANA: „Mein Mann und mein Bruder rasierten sich aus Solidarität auch eine Glatze. Unsere Töchter trugen gemeinsam mit mir Perücke. Die Diagnose Krebs ist ein Familientrauma. Alle sind betroffen. Diese Erfahrung möchte ich weitergeben, deshalb engagiere ich mich für die Initiative „PINK! Aktiv gegen Brustkrebs“, die Betroffenen und Familien hilft. Bei uns war es zum Glück so, dass die Krankheit uns als Familie sogar noch enger zusammengebracht hat. Wie war das bei euch?“

Koch-Mehrin mit ihrer Familie. Ehemann James und die Töchter Alessa, Mila und Elena (v. l.) trugen aus Solidarität mit ihr ebenfalls Perücke

Koch-Mehrin mit ihrer Familie. Ehemann James und die Töchter Alessa, Mila und Elena (v. l.) trugen aus Solidarität mit ihr ebenfalls Perücke

Foto: privat

SYLVIE: „Mein Sohn war erst drei. Er streichelte mir oft über den kahlen Kopf. Auch mein Ex-Mann Rafael stand fest zu mir. Wir waren ja noch jung, er 26, ich 31. Beide liebten mich so, wie ich war. Das half extrem.“

SILVANA: „Für mich war der allerschwerste Moment, den Kindern die Diagnose mitzuteilen. Meine Onkologin gab mir zum Glück den Rat: Kinder interessiert in dem Moment nicht das Detail. Sie wollen nur hören: Wird Mama überleben oder nicht? Ich sagte ihnen, ich würde es schaffen. Wir redeten ganz viel, sie besuchten mich auch in der Klinik. Ich versprach den Mädchen, sie über jeden Schritt zu informieren – sie mussten mir jedoch versprechen, den Krebs nicht zu googeln. Das hätte sie verrückt gemacht.“

Kam Ihnen je der Gedanke, womöglich nicht zu überleben?

SYLVIE: „Rafael und ich haben tatsächlich nie über den Tod gesprochen. Es ging einzig darum, dass ich weiterleben kann – für meinen Sohn. Damian sagt mir heute manchmal, dass er sich an die Zeit noch erinnern könne, obwohl er noch so klein war. Mir ging es mit meiner Mutter genauso. Ich war 15, als sie an Brustkrebs erkrankte. Die Krankheit war unserer Familie deshalb nicht neu.“

SILVANA: „Mich traf die Diagnose völlig unvorbereitet nach einer Routineuntersuchung. Sie warf mich komplett aus der Bahn, denn es gibt keinerlei Vorgeschichte in meiner Familie. Ich war auf Dienstreise in den USA, als meine Ärztin anrief und sagte: „Sie haben Krebs.“ Ich hatte keine Beschwerden, es war im ersten Moment surreal. Heute kann ich jeder Frau nur raten: Gehen Sie regelmäßig zur Vorsorge. Wäre der Krebs in einem späteren Stadium gewesen, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben. (Sie macht eine Pause) James, mein Mann, ist pathologisch optimistisch. Er war felsenfest überzeugt, ich würde gesund werden und schaffte es tatsächlich, mich selbst in dunkelsten Momenten aufzubauen.“

2004: Koch-Mehrin mit FDP-Parteichef Guido Westerwelle († 54)

2004: Koch-Mehrin mit dem damaligen FDP-Parteichef Guido Westerwelle († 54)

Foto: AP
Teaser-Bild

Foto: BILD

Sie ließen sich bewusst die Brust amputieren.

SILVANA: „Ja. Der Tumor selbst war relativ klein. Aber es gab viel diffuses Gewebe drumherum. Die Gefahr der Streuung war mir zu groß, darum wollte ich keine brusterhaltende Operation. Meine Onkologen in Köln und Brüssel waren derselben Meinung. Die Narbe gehört nun für mich zum Leben dazu. Leider bekam ich im Oktober 2020 auch noch Covid ...“

... ein zusätzlicher Schock.

SILVANA: „Unsere jüngste Tochter, sie wird im Januar 14, hat das besonders getroffen. Alle um uns herum sagten ständig: Wenn deine Mama jetzt auch noch an Corona erkrankt, wird sie sterben – und prompt habe ich es. Für unsere Kleine war das ein solches Psychotrauma, dass sie alle Haare verlor. Sie trägt quasi ihre Seele nach außen. Jeden Tag, wenn ich mein Kind ansehe, wird mir bewusst, wie sehr sie unter meiner Krankheit leidet. Man kann nichts gegen den Haarausfall machen. Sie können irgendwann wieder nachwachsen oder nicht, sagen die Ärzte.“

SYLVIE: „Wie geht deine Tochter damit um?“

SILVANA: „Sie ist unglaublich stark, zeigt offen ihren kahlen Kopf, obwohl sie vorher lange, blonde Locken hatte. Sie sagt: „Ich bin genau richtig so, wie ich bin“, und macht damit anderen Mut. Gestern meinte sie, ich müsse ihr mehr weiche Mützen kaufen, ihre würden kratzen.“

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